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AutorenbildAileen Stechow

„Ja, aber das muss ich doch auch alleine hinkriegen“ - Mitgefühl ist ein (gemeinsamer) Prozess

Aktualisiert: 23. März 2023

Heute hatte ich eine bewegende Sitzung mit einer Klientin, und wieder einmal wurde mir bewusst, wie wenig Gnade wir Menschen doch so oft mit uns selbst haben. Mit welchem Wahnsinns-Anspruch an uns selbst wir Dinge tun und wie hart und strafend wir damit umgehen, wenn etwas nicht gleich so klappt, wie wir es von uns erwartet hatten.


Die junge Frau plagt sich mit diffusen Ängsten und körperlichen Symptomen, die ihr sehr unangenehm sind. Sie beschäftigt sich sehr viel damit, woran das liegt, „was sie denn falsch macht“ und warum sie „es nicht besser hinbekommt“. Während wir miteinander arbeiteten, fiel uns beiden auf, wie viel Zeit sie damit verbringt, Dinge von sich selber zu fordern, sich ständig mit Menschen zu vergleichen, von denen sie meint „aber die anderen kriegen das doch auch hin“. Wie häufig wir doch denken, wir müssten dies oder jenes können, wir stellen uns ja schließlich einfach nur zu blöd an, die anderen bekommen es offenbar alles wunderbar und mühelos hin, das mit dem Leben und glücklich sein. Wir sprachen darüber, wie wir es denn lernen, uns zu beruhigen, zu vertrauen, und etwas zuzutrauen, mit Unsicherheiten umzugehen usw. Ich merkte, dass ich mir wünschte, sie könnte etwas gnädiger und verständnisvoller mit sich sein, aber es schien, als würden meine Worte und mein Fühlen kaum zu ihr durch dringen. Im Gegenteil, wie so oft, tappte ich in meine interne Falle, mein Gegenüber in eine bestimmte Richtung leiten zu wollen, was natürlich auf der anderen Seite Druck/Angst/Wut usw. - auf jeden Fall nicht neue Blickwinkel - bewirkt.


Ein paar Atemzüge und inneres Loslassen später fiel mir ein Beispiel ein: „Wie alt ist ihr Sohn nochmal?“ - „Neun“ - „Und kann der eigentlich Autofahren?“, fragte ich sie fast provozierend ernsthaft. Sie sah mich völlig perplex an und sagte: „Natürlich nicht! Wie sollte er das denn können?!“ - kaum hatte sie den letzten Satz ausgesprochen, musste sie schmunzeln. Sie nickte mir zu und rollte die Augen…. „schon klar“. Ein tiefes Seufzen und die junge Frau ließ sich entspannt in den Sessel sinken. „Erkenntnis eine Etage tiefer gesunken“ nenne ich das gerne - der Beginn für jeden Veränderungsprozess. Denn wirklich Mitgefühl für sich oder andere zu empfinden, ist nichts, was wir verstehen, erkennen können. Nichts, was im Kopf passiert oder durch Argumentieren, auch wenn es auch hier auf den ersten Blick so scheint. Gnade und Mitgefühl für sich selbst, sind Dinge, die im Herzen entstehen, die wir wirklich von innen heraus fühlen müssen, damit sie ihre Wirkung entfalten können. Und vor allem sind es Dinge, die wir erfahren müssen, bevor wir sie selbst fühlen können, im besten Fall haben wir das als Kinder (vielleicht in Form von Trost, Ermutigung, Anerkennung, Liebe u.m.). Sei also nicht streng mit dir, wenn du merkst, dass es dir schwer fällt. Mitgefühl ist ein (gemeinsamer) Prozess, den wir immer wieder neu erfahren und üben können.

Was wäre, wenn es um lernen geht? Darum, sich zu trauen, zu Anfänger sein, auf dem Weg zu sein, auf die Suche zu gehen.


Was wäre eigentlich, wenn…


Es okay ist, Fehler zu machen

Es okay ist, Dinge nicht zu können, zu verstehen oder langsam zu sein

Es okay ist, traurig zu sein, obwohl ich Geld, eine Beziehung/Familie/Freunde usw. habe

Es okay ist, um Hilfe zu bitten

Es okay ist, sich allein zu fühlen trotz Handy, Fernseher, Netflix, Tablet…


Deshalb möchte ich dich ermutigen: Nimm dir einen Moment Zeit - am besten 1-2 Minuten mindestens - fühl dein Herz, mach deinen Blick weich und probiere einmal aus, was sich verändert, wenn du von da aus auf dich schaust. Mit dem gleichen Mitgefühl, mit dem du vielleicht auf einen anderen Menschen schaust, den du magst, oder auf ein Kind oder einen Hundewelpen :)


Wenn du weiter damit experimentieren möchtest, schau dir gern auch einmal die Meditation „Selbstmitgefühl“ in der 7Mind-App an und beobachte, welche Gefühle und Empfindungen in dir auftauchen. Und: alles darf sein. Du darfst es zulassen.


Liebe Grüße,

Aileen



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